Ich erhalte gelegentlich E-Mail-Anfragen, wie es denn zu der Begegnung
Barbaras mit der Stadt Göttingen kam, warum es gerade Göttingen war
und wie es zu dem Chanson kam.
Barbara selbst beschreibt ihre Begegnung mit Göttingen in ihren
unvollendeten Memoiren "Il était un piano noir ..." wie folgt:
Anfang 1964 kommt in
der „Écluse“ Gunther Klein, junger Intendant des „Jungen Theaters“ in
Göttingen, zu mir und möchte mich für ein Konzert in seinem Theater
engagieren. Ich lehne ab. Es kommt für mich überhaupt nicht in Frage,
nach Deutschland zu gehen um zu singen. Doch Gunther besteht weiter
darauf, beschreibt sein Theater mit hundert Plätzen, spricht von den
Studenten.
- „Aber wer kennt mich in Göttingen?“
- „Die Studenten kennen Sie!“
- „Ich wünsche nicht nach Deutschland zu gehen.“
Ich bitte jedoch um einen Tag Bedenkzeit. Am nächsten Tag
entscheide ich mich plötzlich einzuwilligen, mit der einzigen
Bedingung, über einen schwarzen Flügel verfügen zu können. Gunther
akzeptiert; so soll es dann im Juli sein.
Ich reise also in
diesem Juli 1964 nach Göttingen ab. Allein und schon verärgert
darüber, zugesagt zu haben, nach Deutschland zu gehen. Gunther Klein
wartet auf mich bei der Einfahrt des Zuges. Er ist immer voller
Begeisterung. Er drängt mich die Stadt besuchen zu wollen, die so
schön in dieser Jahreszeit ist, bevor er mich zum Theater führen will.
Ich schließe die Augen; ich will nichts betrachten. Ich bitte ihn, mir
sofort die Bühne zu zeigen, wo ich am gleichen Abend auftreten soll.
Ein enorm altes
Klavier, geschmückt mit zwei silbernen Kerzenhaltern, thront auf der
kleinen Bühne des Jungen Theaters. Wenn
ich mich vor dieses Koloss auf meinen Hocker setze, der auf eine Höhe
von 61 Zentimetern fest eingestellt ist, kann ich nur einen schwachen
Teil des Raumes erahnen. Ich versuche vergeblich mit ihm dieses so
schwere Klavier zu bewegen. Keine Möglichkeit das Publikum zu sehen
noch von ihm gesehen zu werden. Gunther hat sich dennoch bemüht, einen
Zahnarzthocker zu finden, den er - so informiert er mich – zu diesem
Anlaß selbst übermalt hat. Er merkt an,
daß, als er gekommen ist, um mich in der Écluse zu sehen, ich an einem
geraden Klavier sang.
- „Ja, aber er war
anders angeordnet. Und dann habe ich eine Bedingung an mein Kommen
geknüpft: einen schwarzen Flügel. Sie hatten mich so engagiert.“
Ich erkläre ihm, daß
es mir unmöglich ist, zu singen und mich auf diesem Klavier zu
begleiten.
Gunther ist
untröstlich, aber er antwortet mir, daß ich mich damit begnügen muß.
- „Nein!“
So gehe ich in den
Saal und setze mich in die erste Reihe, zu Gunther wiederholend, daß
ich mich nicht bewegen werde, solange ich den in Paris versprochenen
schwarzen Konzertflügel nicht sehe. Es handelt sich dabei für mich
nicht um eine Laune, sondern um eine absolute Unmöglichkeit.
Gunther betrachtet
mich und es scheint mir, daß ich sehe, wie er allmählich zerfließt. Er
setzt sich zu mir und erklärt mir, daß es einen Streik der Möbelpacker
von Klavieren in Göttingen seit dem Vorabend gibt.
- „Ein Streik der Möbelpacker von Klavieren?“
Nun ja, das ändert
alles. Mein Ärger geht zur Traurigkeit über.
Gunther verschwindet
plötzlich und kommt mit zehn fröhlichen Studenten zurück, die sehr gut
Französisch sprechen. Der eine von ihnen kennt eine alte Dame, die ihm
zufolge zusagen würde, ihren Konzertflügel zu verleihen. Die zehn
Jungen schlagen vor, ihn herüber zu schleppen.
Alles das nimmt viel
Zeit in Anspruch und ruft Beklemmungen hervor.
Der Beginn der
Vorstellung war für zwanzig Uhr dreißig vorgesehen, Gunther erklärt
einem überraschten Publikum den Grund unserer Verspätung, das sich
jedoch entscheidet sich zu gedulden.
Ich bin mehr und
mehr niedergeschlagen, ich habe immer mehr Angst. Ich fühle mich
schlecht, fern von allem. Ich habe noch nicht einmal proben können.
Um zweiundzwanzig
Uhr, getragen von zehn großen blonden Kerlen, hält ein schwarzer
Konzertflügel seinen Einzug auf der kleinen Bühne des Jungen Theaters.
Ich habe später gehört, es gab unter diesen jungen Studenten
einen zukünftigen gefeierten Schauspieler …
Die Veranstaltung
ist wundervoll. Gunther verlängert meinen Vertrag um acht Tage.
Am folgenden Tag
lassen die Studenten mich Göttingen besuchen. Ich entdecke das Haus
der Gebrüder Grimm, wo sie ihre Märchen geschrieben haben, wohlbekannt
aus unserer Kindheit.
Am letzten
Nachmittag meines Aufenthaltes habe ich im kleinen angrenzenden Garten
beim Theater das Chanson „Göttingen“ skizziert. Am letzten Abend -
ganz um mich zu entschuldigen – habe ich den Text gelesen und zu einer
unvollendeten Musik gesungen.
Ich habe dieses
Chanson in Paris fertig gestellt, und Claude Dejacques entschied, als
er es hörte, daß ich es auf meinem nächsten Album aufnehmen sollte.
Ich verdanke also
dieses Chanson der dickköpfigen Beharrlichkeit von Gunther Klein, zehn
Studenten, einer mitfühlenden alten Dame, der Blondheit der kleinen
Kinder von Göttingen, einem tiefen Versöhnungswunsch. Aber nicht dem
Vergessen. Wie immer verdanke ich auch dieses Chanson dem Publikum, in
diesem Fall dem wunderbaren Publikum des Jungen Theaters.