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Michael Laricchia:
BARBARA tritt auf


BARBARA tritt auf.
Wer kommt da auf die Bühne? Taucht aus dem Nebel auf?
Eine Frau ganz in Schwarz, ganz schlank, aufrechter Gang. Sie geht nicht, sie schreitet. Sie setzt die Füße wie eine Tänzerin. Im Scheinwerferkegel leuchtet ein weißes Gesicht mit Adlernase. Sie kommt auf uns zu. Die Arme in den engen, schwarzen Samtärmeln hängen herab, die Handflächen sind nach vorn gedreht. Eine Geste, die sagt: FÜR EUCH!

Es handelt sich offenbar um eine große Dame. Aber – es war zu lesen, dass sie von sich selbst behauptet: ICH BIN KEINE GRANDE DAME DES CHANSONS.

Nach diesem feierlichen Einzug lässt sie sich auf den Klavierhocker vor dem schwarzen Flügel nieder – breitbeinig. Also, doch keine Dame? Ihr kurzes schwarzes Haar hat einen burschikosen Schnitt. Sie trägt weite Hosen und flache Schuhe, und wirkt beinahe androgyn. Wie eine dunkle Blume. Doch halt – ICH BIN KEINE SCHWARZE TULPE, hat sie auch von sich gesagt.

Sie spielt ein paar Töne, sie summt ein paar Noten. Kein Lied, kein Text. Die Töne werden zur Melodie. Jetzt ein Wort. Sie reiht Wörter aneinander. Eine ganze Phrase, eine Strophe. Ein Lied, das aus dem Nichts kommt, das vor unseren Ohren Gestalt annimmt. – Und schon ist es wieder vorbei. Was für ein poetischer Vorgang, der Geburt eines Liedes beizuwohnen, ein Lied zu gebären! Aber sie selbst behauptet auch von sich: ICH BIN KEIN POET.

Wie um dies zu beweisen, haut sie aggressiv in die Tasten, befindet sich, mit starrem Blick von Phrase zu Phrase hastend, schon mitten im nächsten Lied. Halb am Klavier sitzen, halb stehend, stößt ihre Adlernase zu. ICH BIN KEIN RAUBVOGEL, lautet ein anderes Zitat von ihr.

Das nächste Lied. Die Worte werden zu Tönen, die Töne zum verzweifelten Klagegeheul. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie schlingt die Arme um sich, das Lied ist aus. ICH BIN NICHT VON MORGENS BIS ABENDS HOFFNUNGSLOS. Doch handelt fast jedes Lied davon.

Sie ergreift das Mikrophon und durchmisst singend den Bühnenraum, mit großen Gesten und raumgreifenden Schritten ihrer filigranen, insektenhaften Glieder. ICH BIN KEINE GOTTESANBETERIN.

Sie bringt ihre eigene Welt mit sich. Nicht nur den Schaukelstuhl, der in der Bühnenmitte steht und in den sie sich jetzt fallen lässt. Paris, Nantes, Marienbad, Göttingen, die Seine, den Wald von Vincennes, den Wald von Saint-Amand, den Platz Batignolles. So, wie sie ihre Jahreszeit mit sich bringt: den Herbst, oder ihre Tageszeit: die Dämmerung, oder ihre Farbe: Schwarz. ICH LEBE NICHT ZWISCHEN SCHWARZEN VORHÄNGEN.

In ihren Liedern singt sie für Mitterand, für die Völkerverständigung, gegen die Todesstrafe, gegen Krieg, gegen Rassismus. Sie ist die intellektuellste der großen französischen Chansonsängerinnen und behauptet: ICH BIN KEINE INTELLEKTUELLE.

ICH BIN KEINE HELDIN, war zu lesen, doch singt sie Lieder für Transvestiten, revoltierende Studenten, Aidskranke, Schwule, deren Heldin sie ist.

ICH BIN EINE FRAU, DIE SINGT. Sonst möchte sie nichts sein. Und sie singt mit einer Stimme, die zerbrechlich ist und dunkel, müde und kraftvoll zugleich. Ihre Stimme bricht, und uns bricht das Herz.

ICH SINGE MEIN LEBEN. Sie singt, sie spielt, sie lächelt, sie weint. Ganz FÜR UNS, ganz FÜR SICH. Ihre Darbietungen sind etwas Intimes, fast Privates. Manchmal bleibt sie nach einem Lied still sitzen, atmet tief durch. Manchmal steht sie abrupt auf und geht ein paar Schritte auf und ab, um sich wieder zu sammeln. Sie singt nur Lieder, die sie selbst geschrieben hat. Sie betet zu einer früh verstorbenen Freundin, sie reist FÜR UNS noch einmal zu ihrem sterbenden Vater, sie besucht die Orte ihrer Kindheit, überlebt noch einmal ihren Selbstmord, schöpft Hoffnung und verzweifelt wieder. Sie singt vom Lebensschmerz, von der Einsamkeit, von der Schlaflosigkeit und von der Liebe. Immer wieder von der Liebe.

Wenn sie den Applaus entgegennimmt, hängen ihre Arme in den schwarzen Samtärmeln herab und sie dreht uns die Handflächen zu: FÜR EUCH!

Erschöpft wendet sie sich zuletzt an ihr Publikum und singt ihm mit letzter Kraft eine Liebeserklärung: MEINE SCHÖNSTE LIEBESGESCHICHTE, DAS SIND SIE. Dann wendet sie sich zum Gehen.

Wer verlässt da die Bühne? Wessen Gestalt verschwimmt dort im Nebel?
ICH SINGE MEIN LEBEN. Vielleicht ist das die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

BARBARA trat auf.
 

 


siehe auch:

Chanson-Übersetzungen
von Michael Laricchia


Klaus Knust:
Ma plus belle histoire d'amour

 


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